QUEERKRAM

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Queer.de präsentiert den queeren Podcast mit Nollendorfblogger Johannes Kram

Seyran Ates über queere Muslim*innen und eine sexuelle Revolution im Islam

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Seyran Ateş spricht über über die von ihr gegründete queerfreundliche Moschee, die Bekämpfung des "politischen Islam", ständige Morddrohungen und ihren Frust über Linke und Liberale.

Seyran Ateş haben wir es zu verdanken, dass seit gut einem Monat queere Muslim*innen auf Postern im gesamten Berliner Stadtgebiet Gesicht zeigen. "Liebe ist halal" heißt die geniale Kampagne der von ihr gegründeten Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, von der sich christliche Gemeinden eine dicke Scheibe abschneiden können. Werben katholische Kirchen für Homo-Akzeptanz, sehen wir meist nur treue Zweierpaare, denen zum Lebensglück nur der Segen des Pfarrers fehlt. Die Poster von Ateş sind dagegen nicht nur viel näher dran an der Vielfalt queeren Lebens, sondern gehen direkt ans Eingemachte, in dem sie Sexualität nicht ausklammern. "Ich bin Muslim, gläubig und habe trotzdem Sex. Mit Männern", sagt der 23-jährige Tugay auf einem Motiv.

Die sexuelle Revolution des Islam – das ist das Lebensziel von Seyran Ateş. Trotz jahrelanger Anfeindungen, ständiger Morddrohungen und vieler Enttäuschungen brennt die bisexuelle Rechtsanwältin und Imamin weiterhin, ja vielleicht gerade deshalb, für die Idee eines zeitgemäßen, liberalen, geschlechtergerechten und queerfreundlichen Islam. Auch im neuen QUEERKRAM-Podcast: Mit Johannes Kram spricht die 58-Jährige eine Stunde lang engagiert über ihre Motivation, die kleinen Erfolge, ihren Kampf gegen den "politischen Islam" und die vielen Widerstände, die nicht nur von orthodoxen Muslim*innen kommen.

Gleich zu Beginn des Podcasts schimpft Ateş auf den rot-rot-grünen Berliner Senat, von dem sie zu wenig Unterstützung erhalte. "Nach vier Jahren kann ich sagen, dass wir hier in dieser Stadt nicht so gern gesehen sind", sagt sie über ihre 2017 gegründete Moschee, in der alle Geschlechter gemeinsam in einem Raum beten. Ausgerechnet Linke, Liberale und Feministinnen würden ihr vorwerfen, konservative Muslim*innen zu überfordern. "Sie fallen uns in den Rücken, in dem sie uns diffamieren", empört sich Ateş. "Mit denselben Argumenten wie die Muslimbrüder."

Die heftigen Attacken der streitbaren Aktivistin verstören zunächst beim Hören des Podcasts. Sie wirken anfangs überzogen, zu sehr scheint sich die selbstgerechte Moscheegründerin in der Opferrolle zu gefallen. Und doch gelingt es ihr, das Gespräch nach und nach mit Argumenten herumzureißen und Verständnis für ihren Frust zu wecken. Immer wieder deckt sie etwa Doppelstandards der Politik im Umgang mit Religionen oder Feinden der Demokratie auf: "Sobald es um Rechtsextreme und AfD geht, ist man sehr klar, mit denen redet man nicht – aber wenn es um muslimische Identitäre geht, dann ist man verhalten."

Auch wenn der orthodoxe Islam viel sichtbarer sei, handele sich bei der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee um keine Sekte, stellt Seyran Ateş empört klar. "Säkulare Muslime sind in Deutschland keine kleine Minderheit", so die Imamin. Ihre Gemeinde sei "für sehr viele Muslime ein dankbares Geschenk". Weltweit gebe es Hunderte liberaler Moscheen.

Ausführlich geht es im Podcast auch um den Kopftuchstreit, das Berliner Neutralitätsgesetz, islamischen Religionsunterricht und, ganz wichtig, Queerfeindlichkeit in migrantischen Communitys. Am Ende zieht Seyran Ateş eine vorsichtig optimistische Bilanz zur sexuellen Revolution im Islam: "Es gibt negative Entwicklungen, aber ich kann eher sagen, dass es sich verbessert." Bewegungen wie die ihre hätten "immer klein angefangen".

An Ideen mangelt es Ateş übrigens nicht. Als nächstes wolle sie eine eigene Universität gründen, verrät sie im Gespräch mit Johannes Kram. Und auf der Turmstraße in Berlin-Moabit soll es demnächst unter dem Motto "Liebe ist halal" ein queeres muslimisches Straßenfest mit kleiner Parade geben.

  • Micha Schulze auf queer.de, 13. Juni 2021

Links und Informationen zu den in der Episode besprochenen Themen:

Trailer des Films "Seyran Ateş: Sex, Revolution and Islam"

Die Kampagne "Liebe ist halal"

Website der Ibn Rushd - Goethe Moschee in Berlin


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Über diesen Podcast

Hier gibt es rund einstündige Gespräche, die der Autor Johannes Kram mit Gästen führt, die meist aus der LGBTI-Community kommen, also offen lesbisch, schwul, bi-, intersexuell oder trans sind. Unter dem Motto „Wir sind alle anders, wir sind alle gleich“ möchte Kram dazu beitragen, völlig unterschiedliche Lebensgeschichten, Erfahrungen und Standpunkte erfahrbar zu machen und gleichzeitig die Gemeinsamkeiten zu ergründen, die queere Menschen verbinden. Zwischen Generationen, Identitäten und Lifestyles möchte QUEERKRAM Brücken schlagen – innerhalb der queeren Community, aber auch darüber hinaus –, denn Kram ist überzeugt, „dass wir uns alle etwas zu sagen haben.“

QUEERKRAM ist bewusst so gestaltet, dass er mit der Auswahl der Gäste und Themen auch einen Streifzug durch die vielfältigen Facetten von Alltag, Kultur sowie Geschichten und Geschichte aus queerer Sicht bietet, der leicht verständlich informiert, aufklärt und Hintergründe beleuchtet.

QUEERKRAM wurde 2021 von Apple als einer der zehn besten neuen deutschsprachigen Podcasts ausgezeichnet und ist das erste und bislang einzige queere Projekt, das mit dem Grimme Online Award prämiert wurde. Der Podcast erscheint in Kooperation mit queer.de, der größten deutschsprachigen queeren Nachrichtenseite.

Johannes Kram ist u. a. Autor des mehrfach preisgekrönten Nollendorfblogs, des Buches „Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber …“ sowie der Theaterstücke „Seite Eins“ und „Operette für zwei schwule Tenöre“.

Redaktion und Gesamtverantwortung: Johannes Kram

von und mit Johannes Kram präsentiert von queer.de

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